Sturzprophylaxe – Gefahren erkennen, Risiken minimieren & Übungen

Rund die Hälfte aller 70-Jährigen ist bereits einmal oder sogar mehrfach gestürzt. Die Folgen sind Prellungen, schmerzhafte Blutergüsse oder sogar Knochenbrüche, die im hohen Alter nur noch schwer verheilen. Im schlimmsten Fall drohen auch psychische Folgen, die zu einer weiteren Einschränkung der Mobilität führen.

Kurz zusammengefasst

  • Es gibt sowohl individuelle Risikofaktoren als auch Gefahren, die in der Umwelt lauern. Beide Aspekte sind wichtig für eine wirkungsvolle Sturzprophylaxe.
  • Neben der Kennzeichnung und dem Beseitigen potenzieller Gefahrenquellen bieten sich Bewegungs- und Gleichgewichtstrainings an, um das Risiko schwerer Unfälle zu verringern.
  • Für Angehörige gibt es verschiedene Beratungsangebote. Professionelle Pflegekräfte können spezielle Weiterbildungsangebote nutzen, um ihre Kompetenzen in der Sturzprävention zu steigern.

Was ist die Sturzprophylaxe? Eine Definition

Als Sturzprophylaxe versteht man im Fachjargon therapeutische und pflegerische Maßnahmen, um Stürze zu vermeiden. Vor allem Pflegekräften kommt hierbei die Aufgabe zu, Stürze wirksam zu vermeiden und das Unfallrisiko bei Stürzen auf ein Minimum zu reduzieren.

Neben dem Erkennen von Risiken und dem Beseitigen der Gefahren ist es ein Ziel der Prophylaxe, die Betroffenen hinsichtlich ihres Gleichgewichtes, der Muskelkraft und ihres Reaktionsvermögens zu schulen.

Der Sturzprophylaxe-Expertenstandard

Diese Richtlinie ist vom Deutschen Netzwerk für Qualitätsentwicklung in der Pflege als Richtlinie zur Sturzprävention eingeführt worden und richtet sich vorwiegend an Pflegeeinrichtungen. Die Ziele sind in den Leitlinien einzelner Einrichtungen umzusetzen und sollen die Gefahren von Stürzen sowie deren Folgen minimieren.

Die vom Expertengremium gegebene Begründung für die Zielsetzung des Standards lautet dazu:

Stürze stellen insbesondere für ältere und kranke Menschen ein hohes Risiko dar. Sie gehen häufig mit schwerwiegenden Einschnitten in die bisherige Lebensführung einher, die von Wunden und Frakturen über Einschränkung des Bewegungsradius infolge verlorenen Vertrauens in die eigene Mobilität bis hin zum Verlust einer selbstständigen Lebensführung reichen. Durch rechtzeitige Einschätzung der individuellen Risikofaktoren, eine systematische Sturzerfassung, Information und Beratung von Patienten/Bewohnern und Angehörigen, sowie gemeinsame Maßnahmenplanung und Durchführung kann eine sichere Mobilität gefördert werden.

Intrinsische und extrinsische Ursachen von Stürzen

Stürze können eine Vielzahl unterschiedlicher Ursachen haben. Man unterscheidet dabei zwischen intrinsischen und extrinsischen Faktoren. Während erste durch die Person selbst begründet sind, liegen extrinsische Ursachen in der Umwelt.

Mögliche intrinsische Ursachen für Stürze können z. B. sein:

  • Muskeldefizite in Folge von Operationen
  • die fehlende Fähigkeit, ein Stolpern abzufangen
  • ein plötzlicher Verlust des Bewusstseins
  • Verwirrung
  • Angst, Unruhe oder Depression
  • Sehstörungen
  • Benommenheit durch Arzneimittel
  • Medikamenteneinnahme
  • Störungen der Körperhaltung
  • Schlaganfall oder Herzinfarkt

Von außen auftretende Ursachen und Risikofaktoren für Stürze sind hingegen z. B.

  • Stolperfallen wie schlecht erkennbare Stufen, herumliegende Kabel, ein nasser Boden
  • schlecht sitzende Schuhe
  • falsche Brillenglasstärken
  • ungünstige Lichtverhältnisse
  • Veränderungen im Raum, wodurch eine Orientierung nicht mehr möglich ist
  • zu große oder zu lange Kleidung

Maßnahmen zur Sturzprophylaxe

Es ist natürlich schwierig, die intrinsischen Risikofaktoren für einen Sturz auszuschließen, da die Betroffenen diese oft nicht kommunizieren und sie für Pflegekräfte nicht immer ersichtlich sind. Wirkungsvolle Maßnahmen sind hier gegebenenfalls Trainings zur Förderung von Gleichgewicht und eine Kräftigung der Muskulatur.

Umso wichtiger ist es jedoch auch, die extrinsischen Faktoren für die Sturzprävention zu berücksichtigen.

  • Kennzeichnung oder Beseitigung von Stolperfallen
  • für eine ausreichende Beleuchtung sorgen
  • Haltegriffe anbringen
  • geeignete Hilfsmittel bereitstellen
  • Gehhilfen & Co. individuell anpassen
  • Treppenlifter, Hüftprotektoren und andere Hilfsmittel anbieten
  • Anpassung von Stühlen, Betten und Rollstühlen an die Körpergröße
  • Überprüfung der Arzneimittelgabe

In der Pflegeplanung

In der Pflege bietet es sich an, die Sturzprophylaxe systematisch zu planen. So lassen sich Risiken mittels eines Erfassungsbogens dokumentieren und Maßnahmen gemeinsam mit der betroffenen Person planen und erarbeiten. Zudem können Pflegekräfte diese Maßnahmen bis zu einer Evaluation begleiten.

Meixner hat das sogenannte SMART-Konzept entwickelt, das sich zur Planung der Sturzprophylaxe in der Pflege eignet:

  • S (spezifisch): Das Ziel klar und deutlich definieren.
  • M (messbar): Das Ergebnis muss messbar sein.
  • A (akzeptabel): Der Patient muss das definierte Ziel mittragen.
  • R (realistisch): Das Ziel muss erreichbar sein, statt entfernten Zielen Etappenziele setzen.
  • T (terminierbar): Termin setzen, bis zu dem das Ziel erreicht werden soll.

Im Krankenhaus

Im Krankenhaus kommt es häufiger zu Stürzen, wenn PatientInnen unter Medikamenteneinfluss stehen, der die Sinne beeinträchtigt, oder der Kreislauf geschwächt ist. Auch die fehlende Muskulatur nach längeren Liegezeiten kann das Risiko von Stürzen erhöhen. Hier ist das Pflegepersonal angehalten, die PatientInnen zu überwachen und gegebenenfalls Gänge zur Toilette zu begleiten.

Pflegeeinrichtungen – hier sind Konzepte gefragt

Die meisten Pflegeeinrichtungen sind sich der erhöhten Sturzgefahr ihrer BewohnerInnen bewusst und haben dahingehend bereits Konzepte zur Prävention erarbeitet. Dazu gehören auch Betten, Stühle und andere Einrichtungsgegenstände, die auf die Höhe der PatientInnen abgestimmt sind, sodass z. B. ein sicheres Aufstehen möglich ist.

Für Pflegekräfte bieten sich daneben individuelle Weiterbildungen zur Sensibilisierung und einem adäquaten Umgang mit gefährdeten Personen an. In diesem Kontext können auch Übungen erlernt werden, die gemeinsam mit den BewohnerInnen durchgeführt werden, um Gleichgewicht und Muskulatur zu stärken.

Da auch Medikamente das Gleichgewicht erheblich beeinflussen können, ist hier eine regelmäßige Überprüfung, Anpassung und gegebenenfalls auch das Absetzen der Medikamente erforderlich.

Schließlich hilft natürlich auch die mentale Unterstützung der BewohnerInnen. Auf freiheitsentziehende Maßnahmen, wie sie in der Vergangenheit immer wieder eingesetzt wurden, wird hingegen heute glücklicherweise in der Regel verzichtet.

Bei Demenz besonders wichtig

Demenzkranke Menschen sind besonders sturzgefährdet. Eine Hauptursache für Stürze sind hier riskante Tätigkeiten, bei denen sie die eigenen Fähigkeiten überschätzen. Auch das rastlose Umherwandern und der schleichende Verlust kognitiver Fähigkeiten erhöhen das Risiko für Stürze, da sie Gefahren oft nicht mehr richtig einschätzen können.

Wichtig ist hier vor allem das Beseitigen von Stolperfallen sowie die Kennzeichnung potenzieller Gefahren. Auch erweisen sich hier spezielle Protektoren für die Hüfte oder den Kopf oft als sinnvoll.

Für Menschen im Rollstuhl

Wichtig bei einem Rollstuhl ist die individuelle Anpassung an den oder die NutzerIn. Zu leichte Rollstühle sind beispielsweise eher riskant, da sie leichter kippen und bei einem übermäßigen Beugen aus dem Rollstuhl umfallen können.

Zu beachten ist auch, dass die Bremsen beim Ein- und Aussteigen aus dem Rollstuhl stets angezogen sind.

Ein Rollstuhltischchen kann zudem dazu beitragen, dass auslandende Bewegungen reduziert werden und auch so die Gefahr eines Sturzes verringert wird.

Selbstverständlich sind auch hier Übungen zur Kräftigung der Rumpfmuskulatur hilfreich, um Stürzen vorzubeugen.

Spezielle Übungen zur Sturzprophylaxe

Das A und O im Umgang mit potenziell gefährdeten Personen ist, dass du keine Ängste schürst. Das würde im schlimmsten Fall dazu beitragen, dass sich die Betroffenen zusätzlich verunsichert fühlen und sich in ihrer Mobilität weiter einschränken. Gib stattdessen Tipps, die zu einem Erhalt der Beweglichkeit auch im Alter beitragen.

Gleichzeitig ist es wichtig, das Gleichgewichtsempfinden und die Muskulatur zu stärken. Dazu gibt es eine Vielzahl spezieller Übungen, die sich speziell auch an Senioren richten. Diese benötigen nur wenige Minuten und lassen sich täglich gut in den Tagesablauf integrieren.

Hilfsmittel zur Sturzprophylaxe nutzen

Der Unsicherheit beim Gehen lässt sich leicht durch einen Rollator oder einen Gehstock begegnen. Doch bietet jedes Hilfsmittel nur dann zusätzliche Stabilität, wenn es individuell auf die Person zugeschnitten ist, d. h. auch in der Höhe passt und eine gute Handhabung ermöglicht.

Innerhalb der eigenen vier Wände kannst du Hilfsmittel wie zusätzliche Haltegriffe, z. B. an der Toilette montieren, einen Treppenlifter nutzen oder auch spezielle Stühle zum Duschen. Insgesamt gilt es, die Wohnung möglichst barrierefrei zu gestalten, sodass sich die Betroffenen sicher in der eigenen Wohnung bewegen können.

Ein Notrufknopf leistet im Falle eines Sturzes schnelle Hilfe, wenn eine Person allein zu Hause gestürzt ist. Das kostet zwar eine monatliche Gebühr, doch eilt im Falle eines Sturzes schnell Hilfe heran.

Beratung zur Sturzprophylaxe für Angehörige und Pflegekräfte

Angehörige können sich beispielsweise bei der Bundesinitiative Sturzprävention – einem Zusammenschluss von Krankenkassen, Sportverbänden und Wissenschaftlern – beraten lassen.

Daneben ist der Expertenstandard Sturzprophylaxe in der Pflege sehr hilfreich. Auch hier werden zahlreiche Maßnahmen genannt, wie sich Stürze wirkungsvoll verhindern lassen. Wenngleich sich das Werk vorrangig an Pflegekräfte richtet, so findest du hier auch zahlreiche Tipps für den Hausgebrauch.

Darüber hinaus bieten sich für professionelle Pflegekräfte Fort- und Weiterbildungen an. Die beiden bekanntesten sind dabei

  • Sturzprophylaxe nach dem Hamburger Modell, die sich auf BewohnerInnen von Pflegeheimen konzentriert.
  • Sturzprophylaxe nach dem Ulmer Modell bietet ein Training für Kleingruppen, das sich auf die Muskelkraft und das Gleichgewicht konzentriert und die Schaffung einer sicheren Umgebung im Rahmen der Pflege thematisiert.

Berätst du als Pflegekraft hingegen Angehörige im Rahmen der MDK-Anforderungen zu häuslichen Hilfsmitteln, ist es wichtig, die Beratungsleistung schriftlich zu dokumentieren. Inhalte sollten hier der Zeitpunkt und die Inhalte der Beratung sein.

Weiterführende Links

Dieses Video thematisiert den Expertenstandard Sturzprophylaxe:

Hier findest du ein Video mit verschiedenen Übungen zur Sturzprophylaxe: